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G8-Verfahren

#Urteilsverkündung: „journalist“ über das Twittern aus dem Gerichtssaal

In der Dezemberausgabe der Zeitschrift „journalist“ fand sich ein Artikel zum Thema Live-Twittern aus dem Gerichtssaal. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion stelle ich hier das PDF zur Ansicht und zum Download zur Verfügung.

Klick (PDF): René Martens in Journalist 12/2009: #Urteilsverkündung

Nach dem Artikel Twittern im Gerichtssaal – The revolution will not be televised von Henning Krieg in „Kommunikation & Recht“ ein weiterer Beitrag, der sich mit der Live-Berichterstattung vor Gericht beschäftigt.

Neben meinem eigenen Fall werden hier auch der Journalist Ron Sylvester und die Reporterin Trish Mehaffey vorgestellt, die die Gerichtstwitterei in den USA seit längerem und recht erfolgreich betreiben. In den USA sind TV-Liveberichte in den meisten Staaten erlaubt, das Twittern könnte der schreibenden Zunft demnach zur Kompensation von Wettbewerbsnachteilen dienen.

Auf dem deut­schen Medienmarkt dagegen sehen sich die TV-Sender bei Gerichts­verfahren in ihrer Arbeit einge­schränkt, weil sie anders als schreibende Journalisten ihre Möglichkeiten nicht voll aus­ schöpfen können. Mit Prozess-Tweets könnten die Ableger von Printmedien ihre Vorteile gegen­ über Fernsehen und Radio sogar ausbauen – obwohl es natürlich auch jedem Sender freisteht, Mit­arbeiter für die Lieferung von 140-Zeichen-Nachrichten ins Ge­richt zu schicken.

Wenn sich das Mikrobloggen als Berichterstattungsform für Prozessreporter als rechtlich zuläs­sig erweisen sollte, dürfte diese Diskussion noch einmal Auftrieb erhalten. Henning Krieg jedenfalls glaubt, dass Twitter „auf längere Sicht eventuell das Tor zur um­fassenderen Zulässigkeit auch der Berichterstattung in Film und Ton weiter aufstoßen“ könnte.

 

Übrigens: Nach acht Monaten sind vor Weihnachten zwei Berliner Jugendliche aus der U-Haft entlassen worden, denen vorgeworfen wird, bei der 1.-Mai-Demonstration einen Molotowcocktail auf Polizeibeamte geworfen zu haben. Die Widersprüche des Verfahrens hat die FR mit Acht gestohlene Monate ganz anschaulich dokumentiert, nähere Informationen gibt auf der Seite der ProzessbeobachterInnen.

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Allgemein G8-Verfahren

Neues zur Polizeigewalt bei der „Freiheit statt Angst“-Demo

Der Chaos Computer Club hat heute eine ausführliche Auseinandersetzung mit den gewalttätigen polizeilichen Ausschreitungen bei der Demonstration „Freiheit statt Angst“ vom September 09 veröffentlicht.

Neben einer Analyse der Polizistenaussagen durch den Rechtsanwalt Johnny Eisenberg wird dort auch neues Videomaterial vorgestellt. Es zeigt den Ablauf jeweils aus den Perspektiven der beiden vor Ort eingesetzten Polizeikameras sowie der Aufnahmen der Demoteilnehmer.

Der CCC macht das Material aus gutem Grund öffentlich zugänglich:

Ein Opfer polizeilicher Gewalt wird zum Täter gemacht. Der Polizeipräsident verleumdet ihn, verkündet öffentlich und im Innenausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses, das Opfer selbst sei schuld, er habe gestört. Die beteiligten Polizeibeamten organisieren sogleich nach der Tat Falschaussagen und Falschbeschuldigungen, verschweigen die eigene gemeinschaftlich begangenen Straftaten.

Am Rande einer Demonstration gegen zunehmende Einschränkungen von Grundrechten, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht auf IT-Freiheit und Persönlichkeitsrechte wird der Mann zusammengeschlagen. Ihm werden Ober- und Unterlippe zerrissen und vom Kiefer abgerissen. Bei der gewalttätigen Festnahme verschwinden Aufzeichnungen, die ihm dazu dienen sollten, den an den Gewalttaten beteiligten Polizeibeamten zu identifzieren, der sich zuvor geweigert hatte, seine Dienstnummer anzugeben.

[…]

Die Polizeivideos belegen weiter: Die Sprache der Beamten und deren Körperhaltung ist martialisch, machistisch, gewaltbetonend, aggressiv. Sie reden vom polizeilichen Gegenüber, von Linksextremisten. Einfache Nachfragen nach Dienstnummern, einfacher Protest gegen die Verhältnismäßigkeit polizeilichen Vorgehens werten sie als Störungen des Polizeieinsatzes. Die Polizeibeamten wirken aufgehetzt, sie erscheinen äußerlich teilweise als Skinheads, teilweise haben sie extrem kurze Haare und ähneln dem Erscheinungsbild zeitgenössischer Rechtsradikaler.

Puh, da klingelt’s auch bei mir. Erschien doch einer der Polizeibeamten, die gegen mich aussagten, kahlgeschoren, bis an die Ohren tätowiert und mit einer „West Coast Choppers“-Jacke zum offiziellen Gerichtstermin. Dass die Beamten, die mich festgenommen und „mit einfacher körperlicher Gewalt“ niedergeprügelt haben, ebenfalls der hier beteiligten Einsatzhundertschaft angehörten, erwähnte ich ja bereits. Und weiter:

Seit vierzig Jahren berichten Strafverteidiger und Betroffene immer wieder davon, daß Demonstranten willkürlich von Polizisten zusammengeschlagen und anschließend mit dem falschen Vorwurf strafrechtlich verfolgt wurden, Widerstand gegen die Polizeibeamten geleistet zu haben. Es hat unzählige Verurteilungen solcher Opfer polizeilicher Gewalt gegeben, unzählige Polizeibeamte kamen ungestraft davon. Es handelt sich nicht um ein Augenblicksversagen der Schläger. Das Verhalten der Polizeiführung und des Innensenators im Anschluß belegt, daß die Schläger mit deren Billigung handeln und auf deren Deckung und Rechtfertigung zählen konnten. Es zeigt, daß die Behörde selbst durch das Fertigen und Verfolgen von Strafanzeigen gegen das Tatopfer den Korpsgeist zum Schutze der Schläger organisiert.

Dem ist eigentlich nicht viel hinzuzufügen, wir sind leider größtenteils hilflos. Vielleicht noch der Hinweis, dass es sich in vielen Fällen lohnt, in die Berufung zu gehen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Richter vorm Landgericht immerhin ein bisschen genauer hinschauen und neutraler urteilen als es vor dem Amtsgericht der Fall war.

Den gesamten Artikel sowie die Videos gibt es drüben beim CCC. Dorthin ein herzliches Dankeschön für die Veröffentlichung dieser Materialien!

UPDATE: Dazu ein Artikel in der taz „Neues Video belastet Beamten – Mal eben weggeschaut“ und einer aus der Morgenpost: „Unterlassungserklärung – Juristische Schlappe für Berlins Polizeichef„.

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antischokke G8-Verfahren

Twittern im Gerichtssaal – The revolution will not be televised

Rechtsanwalt Henning Krieg hat in „Kommunikation & Recht“ (Heft 11, 2009) einen ausführlichen Artikel zum Thema „Twittern im Gerichtssaal – The revolution will not be televised“ veröffentlicht.

Darin untersucht er, ob die Liveberichterstattung per Twitter, Micro-Blogging und News-Ticker trotz § 169 S. 2 GVG in die deutschen Gerichtssäle einzieht.

Darin ist auch die Rede von der Twitter-Live-Berichterstattung aus meiner Gerichtsverhandlung im G8-Verfahren:

Am 14. 9. 2009 twitterten die Nutzer „sebaso„, „mspro“ und „343max“ live aus der mündlichen Verhandlung eines in Rostock geführten Strafverfahrens. Ihr erklärtes Ziel war, für eine möglichst große Öffentlichkeit für das Verfahren zu sorgen, in dem eine Bekannte von ihnen angeklagt war. Neben allgemeinen Informationen zum Verfahrensverlauf gaben sie auch Aussagen von vom Gericht gehörten Zeugen wieder – und dies bereits, als das Gericht noch nicht alle Zeugen gehört hatte.

Ich empfehle unbedingt die Lektüre des kompletten Artikels und möchte hier keine laienhafte Wiedergabe des Sachverhaltes vornehmen.

Nur soviel: Henning kommt zu dem Ergebnis, dass das Live-Twittern und -Tickern aus Gerichtsverhandlungen heraus ist mit § 169 S. 2 GVG vereinbar ist. In dem Beitrag geht es außerdem um die Frage, in wie weit Bild- und Tonaufnahmen mit der Berichterstattung mittels Twitter gleichzusetzen sind und ob durch eine Erlaubnis der Twitterei eine Diskriminierung von „Ton- und Filmjournalisten“ stattfände.

Der Artikel endet mit einem Appell an den Gesetzgeber:

Viel zu gering erscheint dafür vor allem die Gefahr ähnlich intensiver Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte Verfahrensbeteiligter, wie sie mit Blick insbesondere auf die Filmberichterstattung zu befürchten sind. Sollte der Gesetzgeber jedoch zur Reform von § 169 GVG schreiten und jedwede Live-Berichterstattung aus Gerichtsverhandlungen verbieten wollen, dann sollte er darauf achten, dass es nicht auf eine medien- oder pressetypische Berichterstattung ankommen kann, sondern der Vorgang der Live-Berichterstattung als solcher im Mittelpunkt stehen muss.

Update 10.11.09: Wie Henning Krieg in seinem Blog berichtet, ist das Twittern in Gerichten in den USA bereits untersagt worden.

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antischokke G8-Verfahren

Mein G8-Verfahren in Rostock

Nächste Woche Montag, am 14.09.2009 um 9:30 Uhr, findet meine Verhandlung vor dem Landgericht in Rostock statt.

Einige von euch wussten bereits von dieser Angelegenheit, für andere mag das alles noch neu sein. Ich hatte mich damals zunächst dafür entschieden, den Fall nicht öffentlich zu machen und nur mit einem kleineren Kreis von Menschen zu besprechen. Aufgrund der Brisanz des Themas möchte ich nun aber doch mehr Leute einweihen und raus damit an die Öffentlichkeit gehen. Solange das Verfahren läuft, werde ich auf Details zu den Tatvorwürfen nicht weiter eingehen und auch versuchen, mich möglichst emotionslos über den Fall zu äußern.

Die Fakten in Kürze

Mir wird vorgeworfen, bei der Demonstration gegen den G8-Gipfel am 02.06.2007 im Rostocker Stadthafen einen Stein auf Polizisten geworfen, massiven Widerstand bei meiner Verhaftung geleistet und gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben.

Vor dem Amtsgericht Rostock fanden im Januar und Februar 2008 insgesamt 4 Verhandlungstage statt. Dort wurde ich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu 7 Monate und 2 Wochen auf 2 Jahre Bewährung verurteilt, außerdem zur Zahlung von 1.000 Euro an eine Einrichtung in Rostock. Natürlich muss ich die gesamten Kosten des Verfahrens übernehmen.

Meine Anwältin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, und am 14.09.2009 um 9:30 Uhr wird die Sache nun erneut in Rostock verhandelt, diesmal vor dem Landgericht, August-Bebel-Straße 15-20, Saal 006. Die Verhandlung ist öffentlich!

Gegen meine beiden Entlastungszeugen, die zum Zeitpunkt der angeblichen Tat permanent in meiner Nähe waren, wurde zwischenzeitlich ebenfalls ein Verfahren eröffnet: Ihnen werden Falschaussagen vor Gericht vorgeworfen.

Eine kleine Chronologie

Demonstration & Festnahme
Am 02.06.2007 nahm ich an der Demonstration gegen den G8-Gipfel in Rostock teil. Abends wurde ich im Stadthafen von einer Gruppe Polizisten überwältigt und festgenommen. Der Grund der Verhandlung entschloss sich mir erst aus dem Begleitschein, der mir bei der Einlieferung in die Gefangenensammelstelle vorgelegt wurde. Die Vorwürfe: Steinwürfe gegen Polizeibeamte, Vermummung und Widerstand bei der Verhaftung.

Von der GeSa nahm ich direkt Kontakt zum Ermittlungsausschuss und meiner Anwältin auf. Die Nacht verbrachte ich in Einzelhaft in einem „Käfig“. Morgens wurde ich einem Beamten vorgeführt und nach der erkennungsdienstlichen Behandlung in die Freiheit verabschiedet.

Anklage & Vorladung
Die Anklageschrift erreichte mich im September 2007. Dieser entnahm ich die genauen Tatvorwürfe – Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Im Dezember bekam ich die Ladung zur Hauptverhandlung am 07.01.2008 in Rostock. Ich konnte zwei Zeugen benennen, die während des ganzen Tages und vor allem auch in der Zeit der angeblichen Tat permanent an meiner Seite waren.

Im Vorlauf der Verhandlung habe ich versucht, weitere Zeugen zu finden, dazu unter anderem einen (anonymen) Aufruf auf netzpolitik.org gestartet, viel recherchiert, FotografInnen, Videomenschen und andere AktivistInnen sowie die Rote Hilfe kontaktiert.

Verhandlung in Rostock, Januar/Februar 2008
Insgesamt erstreckte sich das Verfahren auf 4 Verhandlungstage. Dem Richter reichten die Aussagen der Polizisten als Beweis meiner Schuld. Meinen Entlastungszeugen wurde nicht geglaubt. Der ursprüngliche Vorwurf des Landfriedensbruches wurde auf gefährliche Körperverletzung „herabgestuft“. Das Urteil bedeutet für mich eine eingetragene Vorstrafe und sehr hohe Kosten.

Berufung
Wir entschlossen uns, das Urteil so nicht zu akzeptieren und Berufung einzulegen.

Ende letzten Jahres wurden Verfahren gegen meine beiden Entlastungszeugen eröffnet. Die Staatsanwaltschaft wertet ihr Bezeugen meiner Unschuld als Falschaussagen. Das Strafmaß für eine „Falsche uneidliche Aussage“ liegt bei einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

Landgericht Rostock, 14.09.2009
Am kommenden Montag wird mein Fall vor dem Landgericht Rostock verhandelt. Ich freue mich über jegliche Unterstützung! Am meisten über persönlichen Beistand vor Ort in Rostock, gerne auch über Mobilisierung anderer UnterstützerInnen oder über Öffentlichkeit und Aufklärung über meinen Fall. Leider sind die Ereignisse um den G8-Gipfel aus dem Jahr 2007 nicht mehr sehr präsent in den Köpfen der Menschen und den Artikeln der Medien, so dass es schwierig werden könnte, Aufmerksamkeit zu erlangen.

Unterstützung
Die Gerichtskosten, die Kosten für Anwälte, Anreise der Zeugen etc. werden – auch aufgrund der vielen Verhandlungstage – mehrere tausend Euro betragen. Falls ich erneut schuldig gesprochen werde, bedeutet das neben der Vorstrafe auch noch eine sehr hohe finanzielle Belastung. Je nach Ausgang des Verfahrens wird es einen entsprechenden Unterstützungsaufruf und/oder eine Soliparty geben.

Unterstützungangebote oder Presseanfragen nehme ich gerne unter nicole [ätt] antischokke.de entgegen.